- Roosevelt: New Deal
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Roosevelt: New DealIn den USA hatte die Weltwirtschaftskrise eine lange Periode der Hochkonjunktur beendet und den an eine blühende Wirtschaft gewöhnten Amerikanern einen besonders schmerzhaften Schock versetzt. Bis zum Frühjahr 1933 erhöhte sich die Anzahl der Arbeitslosen auf fast 15 Millionen. Da die Maßnahmen des Präsidenten Herbert C. Hoover zur Krisenbewältigung keinen durchschlagenden Erfolg hatten, richteten sich die Hoffnungen der Amerikaner bei den Präsidentschaftswahlen 1932 auf den Kandidaten der Demokraten, Franklin D. Roosevelt. Er versprach im Wahlkampf, das Land mit einer neuen Politik des »new deal for the American people«, einem Programm umfassender Reformen, aus der Depression herauszuführen.Roosevelt errang einen überwältigenden Sieg über Hoover und übernahm am 4. März 1933 das Präsidentenamt. Um die wirtschaftlichen Probleme bewältigen zu können, griff Roosevelt zu staatlichen Initiativen, die auch die bisher in den USA unantastbaren Freiräume des Marktes betrafen. Die unmittelbare Belebung der Wirtschaft sollte durch umfangreiche Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen erreicht werden. Ein freiwilliger Arbeitsdienst für die 18- bis 25-jährigen Männer sollte helfen, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, ein währungspolitisches Sanierungsprogramm galt der Wiederbelebung des Bankwesens. Eine mit halbrichterlichen Befugnissen ausgestattete Behörde sollte die Einhaltung der Maßnahmen überwachen.Besondere Aufmerksamkeit widmete Roosevelts New-Deal-Programm der Landwirtschaft. Durch Reduzierung der Produktion und Beschränkung des Anbaus bestimmter Getreidearten sollten höhere Preise erzielt werden. In der Industrie wurde die Überproduktion durch Arbeitszeitverkürzung gedrosselt. Ein weiterer Schwerpunkt des »New Deal« war eine Arbeitsgesetzgebung, die den Aufbau starker Gewerkschaften förderte.In der zweiten Phase des »New Deal« ab 1935 wurde eine umfassende Sozialgesetzgebung eingeleitet. Auf Bundesebene wurde eine Invaliden-, Alters- und Hinterbliebenenversicherung eingerichtet, und die Bundesstaaten erhielten Zuschüsse für die Arbeitslosenversicherung. Auch Maßnahmen für den sozialen Wohnungsbau wurden von der Bundesregierung eingeleitet.Der »New Deal« hat den modernen Sozialstaat begründet. Der hohe Wahlsieg Roosevelts bei seiner Wiederwahl 1936 bestätigten die Leistungen des Präsidenten. Das politische System der USA war nicht anfällig für rechtsextreme und faschistische Bewegungen, die in Europa ständig an Boden gewannen.IIRoosevelt: New DealDie Große Depression — Ursachen und VerlaufDie Kursstürze an der New Yorker Börse am 24. Oktober 1929, dem »Schwarzen Donnerstag«, und am 29. Oktober, dem »Schwarzen Dienstag«, wurden zum Fanal einer Krise, die alle bisherigen Rezessionen und Depressionen in den Schatten stellte. Panikverkäufe von Anlegern, die den Wert ihrer Aktien bis November um mehr als die Hälfte fallen sahen, verursachten Banken- und Firmenzusammenbrüche, die rasch das gesamte Wirtschaftsleben zu lähmen begannen.Zu den langfristigen Ursachen der Großen Depression gehörte die Überproduktion im Agrarsektor. Sinkende Erzeugerpreise bedingten, dass viele Farmer ihre Hypothekenzinsen nicht mehr zahlen konnten. Im industriellen Sektor trat bis 1929 eine Sättigung des Markts ein, zu der in der Übermacht der Großkonzerne gründen- de Wettbewerbsverzerrungen und die unzureichende Massenkaufkraft maßgeblich beitrugen. Einen strukturellen Schwachpunkt bildete das amerikanische Bankenwesen, das keinen wirksamen Kontrollen unterworfen war. Es wurde durch das in der Prosperitätsphase wachsende Kreditvolumen überlastet und zeigte sich den Folgen unregulierter Börsenspekulation nicht gewachsen. Fehlentscheidungen des Zentralbankrats, der 1927 mit Zinssenkungen die Aktienhausse angeheizt hatte, verschlimmerten die Lage: Als die Börsenkurse fielen, reagierte er mit Kreditrestriktionen, statt die Geldmenge zu erhöhen und für Liquidität zu sorgen.Sämtliche statistischen Indikatoren bestätigen die einzigartige Härte des wirtschaftlichen Rückschlags. Bruttosozialprodukt, privates Einkommen und Außenhandel schrumpften bis 1933 auf die Hälfte zusammen. Die Investitionen sanken von 10 Milliarden Dollar 1929 auf 1 Milliarde 1932, und die Bautätigkeit kam 1932/33 fast vollständig zum Erliegen. Während die Agrarpreise im Schnitt um 60 Prozent fielen, ging die landwirtschaftliche Produktion nur um 6 Prozent zurück, sodass Hunger und Überfluss nebeneinander existierten. Von Arbeitslosigkeit betroffen waren auf dem Höhepunkt der Krise 1932/33 etwa 15 Millionen Amerikaner, mithin ein Viertel der arbeitsfähigen Bevölkerung. Diese Menschen besaßen keinerlei Unterstützungsanspruch, sondern waren auf die Armenhilfe der Gemeinden und auf private Wohltätigkeit angewiesen. Farmer und Pächter im Mittleren Westen litten nicht nur unter dem Preisverfall, sondern auch unter anhaltender Dürre, die Bodenerosion und Sandstürme verursachte. Viele Familien brachen in Richtung Kalifornien auf, das nun als das »Gelobte Land« galt. Sie fanden aber oft nur in Obdachlosenlagern Unterkunft und mussten sich als Obstpflücker verdingen.Der rasche Sturz in die Krise führte zu einer tiefen psychischen Verunsicherung breiter Bevölkerungsschichten. Obwohl viele Betroffene die Schuld an ihrer Notlage bei sich selbst suchten, kamen doch Zweifel an den Grundfesten der amerikanischen Lebensart auf: an der Fähigkeit des Einzelnen, sein Schicksal selbst zu gestalten, an der Überlegenheit der Demokratie gegenüber diktatorischen Regierungsformen und an den Vorzügen einer kapitalistischen Wirtschaft mit freiem Unternehmertum. Es musste sich erweisen, ob das politische System der USA noch fähig war, diese Ratlosigkeit und lähmende Ungewissheit zu überwinden.Roosevelts New DealIn Franklin D. Roosevelt erwuchs der Demokratischen Partei gerade rechtzeitig wieder eine charismatische Führerpersönlichkeit vom Schlage eines Woodrow Wilson. Anders als Herbert C. Hoover bekundete Roosevelt Mitgefühl für den »vergessenen kleinen Mann« und strahlte Tatkraft und Zuversicht aus. Die Parole vom New Deal, einer gerechten Neuverteilung der gesellschaftlichen Chancen, die Roosevelt auf dem Nominierungskonvent der Demokraten in Chicago Ende Juli 1932 ausgab, erwies sich als werbewirksam und mitreißend. Der Kandidat propagierte keinen fertigen Rettungsplan, sondern wies zunächst nur die Richtung: Die Bundesregierung müsse die Verantwortung für das wirtschaftliche Wohlergehen der Amerikaner übernehmen und die Krise ebenso entschlossen wie eine militärische Invasion bekämpfen. Mit über 7 Millionen Stimmen Vorsprung vor Hoover gaben ihm die Wähler im November ein klares Mandat und einen großen Vertrauensvorschuss.Der »erste« New DealAngesteckt vom Schwung und Optimismus des neuen Präsidenten, zeigte sich der Kongress bereit, den New Deal mit vereinten Kräften auf den Weg zu bringen. In den legendären »ersten hundert Tagen« wurde ein wahres Feuerwerk an Reformen abgebrannt. In den Radioansprachen vor dem Kamin seines Arbeitszimmers erläuterte Roosevelt den Bürgern seinen experimentellen Regierungsstil: Wichtig sei, dass überhaupt etwas geschehe; sollten sich einzelne Maßnahmen als falsch erweisen, könne man sie korrigieren und etwas anderes versuchen.Die politische Initiative lag eindeutig beim Präsidenten, der eine Gruppe hochkarätiger Wissenschaftler als Berater um sich sammelte. Mit Frances Perkins als Arbeitsministerin zog erstmals eine Frau ins Kabinett ein, eine Entscheidung, die dem Image der Regierung ebenso zugute kam wie das soziale Engagement der First Lady Eleanor Roosevelt. Roosevelts Vertrauter HarryL. Hopkins kümmerte sich zunächst um die Arbeitslosenhilfe und übernahm später wichtige Aufgaben als Handelsminister und Sonderbotschafter. Von Beginn an verstand es Roosevelt, seine eigene Autorität durch das Nebeneinander konkurrierender Ämter in der Administration zu stärken. Überdies verfügte er über ein feines Gespür für die öffentliche Meinung, die er über Presse und Rundfunk kontinuierlich zu beeinflussen wusste.Die Reformen des New Deal erfassten jeden Wirtschaftsbereich; zur Signatur der Epoche wurden die vielen autonomen, dem Präsidenten direkt unterstellten Exekutivbehörden, die der Kongress für die verschiedensten Aufgaben schuf. Höchste Priorität beanspruchte die Bankenkrise, in deren Folge etwa 9 Millionen Amerikaner ihre Ersparnisse verloren hatten. Unmittelbar nach seiner Amtseinführung am 4. März 1933 verfügte Roosevelt »Bankfeiertage« und berief den Kongress zu einer Sondersitzung ein. Schon am 9. März wurde ein Bankengesetz verabschiedet, das stärkere Aufsichtsbefugnisse des Finanzministeriums vorsah (Emergency Relief Banking Act). Am 13. März konnten die »sicheren« Banken wieder geöffnet werden, und der Anstieg der Einlagen zeigte, dass das Vertrauen der Sparer zurückkehrte. Zur weiteren Beruhigung trug der Glass-Steagall Banking Act bei, der Geldanlagegeschäfte von »normalen« Bankgeschäften trennte und eine Versicherung der Bankeinlagen vorsah. Als Kontrollorgan für die Börse fungierte ab 1934 die Securities and Exchange Commission, die eine übersteigerte Spekulation und Geschäfte zwischen Insidern verhindern sollte. Die Aufgabe des Goldstandards und die Abwertung des Dollars zielten darauf ab, das inländische Preisniveau zu heben. Dieser Alleingang der USA verurteilte das Projekt einer internationalen Währungsstabilisierung zum Scheitern, das die Londoner Weltwirtschaftskonferenz 1933 erörterte. Damit verstärkten die USA den Trend zum ökonomischen Nationalismus, der dem Ideal des freien Welthandels eigentlich zuwider- lief. In der Haushaltspolitik verhielt sich Roosevelt konventionell und mahnte zur Sparsamkeit, als das Haushaltsdefizit anwuchs. Die Ausgabenkürzungen, die der Kongress daraufhin vornahm, wirkten der wirtschaftlichen Erholung eher entgegen. Erst 1938 wurde dieser restriktive Kurs aufgegeben, als die Konjunktur erneut einbrach und sich vor dem Hintergrund des Aufstiegs von Deutschland und Japan bereits die Notwendigkeit militärischer Aufrüstung ankündigte.Ein zweiter Schwerpunkt war die Stützung der Landwirtschaft. Das erste Gesetz über die Anpassung der Landwirtschaft (Agricultural Adjustment Act) an die zu geringe Nachfrage vom Mai 1933 sah eine Kombination von Anbaubeschränkungen und Subventionen für bestimmte Produkte wie Weizen, Baumwolle und Tabak vor, um die Erzeugerpreise dem industriellen Preisniveau anzugleichen. Flankierend vergab man zinsgünstige Kredite an Farmer, um massenhafte Zwangsversteigerungen abzuwenden. Vom Anstieg der Preise profitierten allerdings in erster Linie die größeren Farmer, während Kleinbauern und schwarze Pächter im Süden zumeist leer ausgingen. Das wiederum lag hauptsächlich daran, dass die Subventionen durch die Regierungen der Einzelstaaten und die lokalen Farmerorganisationen verteilt wurden. Im Süden dominierten aber nach wie vor die konservativen Demokraten und ihre weiße Farmerklientel, auf deren politische Unterstützung Roosevelt angewiesen war. Das hielt den Präsidenten auch davon ab, sich in die Rassenbeziehungen einzumischen.Das Kernstück des ersten New Deal bildete das Bundesgesetz über den industriellen Wiederaufbau vom Juni 1933 (National Industrial Recovery Act, NIRA). Unter der Aufsicht der National Recovery Administration konnte jede Branche Regeln, die codes of fair business, aufstellen, die »ruinösen Wettbewerb« durch Preis- und Produktionsabsprachen verhindern sollten. Als Zugeständnis an die Gewerkschaften wurden Vereinbarungen über Mindestlöhne und Höchstarbeitszeiten, das Verbot der Kinderarbeit und das Recht auf freie Tarifverhandlungen in die codes aufgenommen. Der Widerstand der Unternehmer gegen solche präzedenzlosen Eingriffe des Staats formierte sich gerade, als der Oberste Gerichtshof das Gesetz im Mai 1935 als verfassungswidrig aufhob.Der experimentelle Charakter des New Deal zeigte sich am deutlichsten auf dem Gebiet der Arbeitsbeschaffung: Etliche Organisationen folgten dort aufeinander oder existierten nebeneinander her. Die Civil Works Administration verschaffte im Winter 1933/34 vier Millionen Menschen vorübergehend Arbeit, wurde dann aber wegen Geldmangels wieder aufgelöst. Als dauerhafter erwies sich das Civilian Conservation Corps, ein freiwilliger Arbeitsdienst für Männer zwischen 18 und 25 Jahren, die in Militärcamps lebten und mit Landschafts- und Naturschutzaufgaben beschäftigt wurden. Das Großprojekt der Tennessee Valley Authority verband dagegen Arbeitsbeschaffung mit regionaler Wirtschaftsentwicklung: Im Einzugsgebiet des Tennessee River wurden Dämme, Schleusen, Elektrizitätswerke, Stromleitungen und Chemiefabriken gebaut.Opposition gegen den New DealDas Ergebnis der Zwischenwahlen vom November 1934 bewies, dass die Mehrheit der Bevölkerung hinter Roosevelt stand. Allerdings wurde auch Kritik laut, die aus zwei unterschiedlichen Richtungen kam: Für die einen war der New Deal ein »Strohfeuer«, das bald wirkungslos verpuffen würde, für die anderen ging er zu weit und beschwor die Gefahr einer Revolution herauf. Populistische Führer propagierten schlichte und zum Teil autoritäre Lösungen. So wollte HueyP. Long, Gouverneur und Senator von Louisiana, den Reichen hohe Steuern und Abgaben auferlegen, mit deren Hilfe dann jeder amerikanischen Familie ein Haus und ein festes Jahreseinkommen finanziert werden sollte. Bevor dieser dynamische Agitator zu einer echten Gefahr für Roosevelt werden konnte, wurde er im September 1935 in Louisiana ermordet. Die konservative Gegenposition vertrat die American Liberty League. Sie attackierte die staatliche Regulierung des Wirtschaftslebens als Vorstufe eines kommunistischen oder faschistischen Regimes. Auch die Gerichte glaubten nun zu erkennen, dass der New Deal das amerikanische Verfassungssystem aus den Angeln hob. Als der Oberste Gerichtshof im Mai 1935 eine Klage gegen den für die Geflügelindustrie geltenden code behandelte, erklärten die Richter den NIRA einstimmig für verfassungswidrig. Sie bemängelten, dass der Kongress zu viele Vollmachten an die Exekutive delegiert und die Bundesregierung auf unzulässige Weise in die Belange der Einzelstaaten eingegriffen habe. Mit ähnlichen Begründungen, zum Teil aber mit nur knappen Mehrheiten, verwarf das Oberste Gericht auch weitere wichtige Gesetze aus den »ersten hundert Tagen« und stellte damit den gesamten New Deal infrage.Der »zweite« New DealPräsident Roosevelt beantwortete die Rückschläge mit einer Verschärfung seines Reformkurses. Hatte sich die Regierung bislang um eine Harmonisierung der Interessen von Unternehmern, Gewerkschaften und Farmern bemüht, so waren die Gesetze des »zweiten« New Deal ab 1935 weiter »links« auf der politisch-ideologischen Skala angesiedelt. Sie begünstigten die Arbeiterschaft, während die Unternehmen wieder einem stärkeren Wettbewerb ausgesetzt und höher besteuert wurden. Als Ersatz für den NIRA unterzeichnete der Präsident im August 1935 den Wagner Act (National Labor Relations Act) über die Neuordnung der Arbeitsbeziehungen, der in erster Linie die Rechte der Gewerkschaften absicherte.Einen ersten Schritt zum modernen Sozialstaat unternahm eine Koalition aus Demokraten und gemäßigten Republikanern mit dem Social Security Act vom August 1935. Finanziert wurden die Programme zur Altersrente und Arbeitslosenunterstützung durch Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteile an Löhnen und Gehältern, und die Fonds wurden gemeinsam von den Einzelstaaten und der Bundesregierung verwaltet. Gesetzlich vorgeschrieben war nun auch die Unterstützung bedürftiger Personengruppen, zu denen Blinde, Gehörlose, Behinderte und familiär unversorgte Mütter und Kinder gehörten. Diese Bestimmungen bildeten die Keimzellen, aus denen sich das amerikanische Sozialhilfesystem entwickelte. Der Fair Labor Standards Act verbot endlich die Kinderarbeit und führte gesetzliche Mindestlöhne und Höchstarbeitszeiten ein. Auch die Arbeitsbeschaffung wurde im Rahmen des »zweiten« New Deal intensiviert. Die Works Progress Administration förderte nicht nur Industrie- und Infrastrukturprojekte, sondern beschäftigte auch eine große Zahl von Künstlern und Intellektuellen. Dennoch verharrte die Arbeitslosigkeit auf hohem Niveau; in der Rezession 1938 stieg sie vorübergehend sogar wieder auf über 10 Millionen, mithin auf 19 Prozent an.Abgerundet wurde der »zweite« New Deal durch den Banking Act, der die Verantwortung für die Geldpolitik endgültig von der regionalen auf die nationale Ebene hob und durch Steuerreformen die unteren Einkommensschichten entlastete. Dass diese Politik die Zustimmung der Massen fand, bestätigten die Wahlen von 1936 eindrucksvoll: Roosevelt besiegte seinen republikanischen Herausforderer Alfred M. Landon, den Gouverneur von Kansas, haushoch.Das Ende des New DealTrotz des überwältigenden Wahlerfolgs stand Roosevelts zweite Amtszeit innenpolitisch unter einem schlechten Stern. Im Kongress löste sich die parteienübergreifende Koalition auf, die den New Deal ermöglicht hatte, da die Republikaner die unternehmerfeindliche Politik der Regierung nicht mehr mittragen wollten. Zahlreiche Streiks sowie die einsetzende Rezession beunruhigten viele Amerikaner und weckten Zweifel an der Richtigkeit des neuen, radikaleren Kurses. Die schwerste Krise löste Roosevelt jedoch selbst mit einem Frontalangriff auf den Obersten Gerichtshof aus, dessen konservative Urteile ihn zunehmend verärgert hatten. Sein Vorschlag, für jedes Mitglied des Obersten Gerichts, das im Alter von 70 Jahren nicht von seinem Amt zurücktrat, einen zusätzlichen Richter ernennen zu dürfen, kostete ihn viele Sympathien. Nun warnten sogar liberale Demokraten vor »diktatorischen Anwandlungen«, und der Kongress lehnte den Gesetzentwurf im Juli 1937 ab.Die Zwischenwahlen von 1938 brachten den Republikanern Zugewinne und stärkten die konservativen Kräfte in der Demokratischen Partei. Obwohl die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Großen Depression noch lange nicht beseitigt waren, ging das Reformwerk des New Deal damit zu Ende. Die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit wandte sich jetzt immer stärker dem außenpolitischen Geschehen und der Kriegsgefahr in Asien und Europa zu. Die Bilanz des New Deal weist Licht- und Schattenseiten auf. Der Abbau der Arbeitslosigkeit verlief langsamer als in den meisten europäischen Industriestaaten. Für eine echte Wirtschaftserholung sorgte erst der Rüstungsboom im Zweiten Weltkrieg. Afroamerikaner und andere Minderheiten wie die 170000 Indianer und die mexikanischen Wanderarbeiter profitierten weniger von den Reformen als die weiße Mittel- und Unterschicht. Dennoch gaben die meisten afroamerikanischen Wähler Franklin D. Roosevelt ihre Stimme, der zumindest mit einigen Ämterbesetzungen und symbolischen Gesten Verständnis für ihre Bedürfnisse erkennen ließ. Die Frauen, immerhin die Mehrheit der Bevölkerung, blieben weiterhin im Berufsleben und bei der sozialen Absicherung benachteiligt. Führende Politikerinnen der Demokratischen Partei sahen bewusst von einer speziellen »Frauenagenda« im Rahmen des New Deal ab, da sie glaubten, die allgemeine Belebung der Wirtschaft werde Männern und Frauen gleichermaßen zugute kommen. Die Karrieren weniger Frauen in Bürokratie, Justiz und Diplomatie können indes nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich am minderen gesellschaftlichen Status der Frauen wenig änderte. Die Karten wurden also keineswegs so gründlich »neu gemischt«, wie Roosevelt es in den Wahlkämpfen versprochen hatte. Dennoch fällt eine Gesamtbewertung des New Deal positiv aus. Die Administration Roosevelt wollte das bestehende liberal-kapitalistische System nicht abschaffen, sondern stabilisieren und verbessern. Dabei befand sie sich im Einklang mit der großen Mehrheit der Amerikaner, die trotz der Depression an den vertrauten Werten von Individualismus, Eigeninitiative und Mobilität festhielten. Entscheidend war, dass der New Deal den Amerikanern das Gefühl nahm, einem schicksalhaften Verhängnis hilflos ausgeliefert zu sein, und dass er ihnen eine Alternative zu den totalitären Versuchungen bot, denen viele europäische und asiatische Völker erlagen.Da oft nur die Wirtschaft in den Blick gerät, werden die wichtigen kulturellen Impulse des New Deal zu Unrecht übersehen. Projekte für Künstler und Intellektuelle wie das Federal Writers' Project und das Federal Theater Project waren weit mehr als reine Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen: Indem die Beteiligten Parks und Denkmäler restaurierten oder neu errichteten, öffentliche Gebäude mit Wandmalereien schmückten, Volkslieder und Gedichte sammelten, Theaterstücke aufführten oder Dokumentarfilme drehten, trugen sie zur Stärkung der amerikanischen Identität und des Patriotismus bei. Es kam deshalb nicht von ungefähr, dass sich viele Künstler nach 1941 rasch und bereitwillig als Propagandisten im Kampf gegen die totalitären Staaten zur Verfügung stellten.Prof. Dr. Jürgen HeidekingWeiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:Vereinigte Staaten von Amerika: Die innere Entwicklung von Roosevelt bis ClintonGrundlegende Informationen finden Sie unter:Vereinigte Staaten von Amerika: Europa und die USA nach 1918Cashman, Sean Dennis: America in the twenties and thirties. The Olympian age of Franklin Delano Roosevelt. New York u. a. 1989.Gosnell, Harold F.: Champion campaigner. Franklin D. Roosevelt. New York u. a. 1952.Hofstadter, Richard: The age of reform. From Bryan to F. D. R. Neudruck New York 1985.Junker, Detlef: Der unteilbare Weltmarkt. Das ökonomische Interesse in der Außenpolitik der USA 1933-1941. Stuttgart 1975.Kindleberger, Charles P.: Die Weltwirtschaftskrise 1929-1939. Aus dem Amerikanischen. München 31984.Leuchtenburg, William E.: Franklin D. Roosevelt and the new deal. 1932-1940. Neudruck New York u. a. 1995.The rise and fall of the New Deal order. 1930-1980, herausgegeben von Steve Fraser u. a. Princeton, N. J., 1989.Roosevelt, Eleanor: Eleanor Roosevelt's My day. Her acclaimed columns, herausgegeben von Rochelle Chadakoff und David Emblidge, Band 1. New York 1989.Roosevelt, Franklin D.: The public papers and addresses. With a special introduction and explanatory notes by President Roosevelt, herausgegeben von Samuel I. Rosenman, Band 2: The year of crisis, 1933. New York 1938.
Universal-Lexikon. 2012.